EIN ATMEN


Der ursprüngliche Atem jedoch
wartet leer auf die Dinge.

Zhuangzi

„KUNST IST KUNST. ALLES ANDERE IST ALLES ANDERE.“1 schrieb Ad Reinhardt 1958 ins Poesiealbum der Künstler-Statements, um uns daran zu erinnern, dass unsere Fähigkeit zur Kunst einen Lebensbereich erschließt, der sich von allen anderen unterscheidet. Das Kunstwerk atmet aus sich selbst. Es ist kein Ding mehr. Es erfüllt uns mit einem Hauch, einem Atem, der eine Einheit erfahrbar macht, die es nicht gibt, sobald man sie mit den Zweckbestimmungen unseres Denkens ergreift. Kunst = Kunst.

Was in dieser – und jeder – Identitätsbehauptung mit ausgesprochen ist, lässt sich nicht mehr herleiten. Es umgibt und durchströmt uns, wie die Atemluft, die wir kaum je bewusst wahrnehmen. Ein Atmen.

Wir atmen Gleichheit.

So wie die Atemluft unserer Atmosphäre für alle Menschen gleich ist, so ist auch die Basis unserer geistigen Existenz nicht verschieden. Auch daran kann uns Ad Reinhardt erinnern: Wir atmen Gleichheit.

Nun hat Joseph Beuys die Formelsammlung der Kunst um das berüchtigte Maß: Kunst = Kapital bereichert und gefordert, man solle den Kunstbegriff erweitern, solle die Gesamtheit der Lebensvollzüge als Kunstwerk betrachten, ganz so, als sei alles Andere auch und ebenso Kunst.

Diese gedankliche Verschiebung des Kunstbegriffes führt Beuys dann zu so hinreißenden Formulierungen wie „Wenn also bezahlt werden muß, dann muß mit Kunst bezahlt werden; es muß mit dem Erweiterten Kunstbegriff bezahlt werden. Und wenn nur mit diesem Kapital bezahlt werden kann, muß es mit Menschenwürde und mit Menschenrecht bezahlt werden.“2 Allerdings sollte nicht übersehen werden, dass auch Beuys für sein Denken ein „grundlegendes Einheitsprinzip“ in Anspruch nimmt, das sich für ihn „am aller einfachsten an einem Erweiterten Kunstbegriff (…) nachweisen läßt“3.  Das heißt: Kunst = Kunst.

Betrachtet man dieses Atmen als den wesentlichen Vorgang in der Kunst, dann zeigt sich auch, warum unter der Perspektive einer solchen Erfahrung grundlegende Begriffe unserer wirtschaftlichen Zusammenhänge wie das Privateigentum von Produktionsmitteln, der Profit als Unternehmensziel, und die Lohnarbeit sinnwidrig werden.

Wir alle haben auf gleiche Weise teil an der Luft die wir atmen. Und entsprechend dieser Anteilnahme sind wir auch für diese verantwortlich. Kein Atemvorgang hat zum Ziel, am Ende einen Luftprofit zu erzielen, sondern er besteht lediglich in einem lebendigen Zirkulationsprozess der Atemgase. Und schließlich, ist es ein Unding, um nicht zu sagen lebensgefährlich, andere für sich atmen zu lassen.

Lassen wir uns auf die fremden Stoffe die wir einatmend aufnehmen ein, kann man sagen: Kunst erfahren und atmen sind eins.

 

 

 


1 Art as Art, Ad Reinhard. Ed. B. Rose, 1991, S.51.

2 Beuys, Kunst = Kapital, FIU Verlag, 1992, S.54.

3 ebenda.


Unterhaltung III

B: Wie würden Sie »KAPITALISMUS« erklären?

A: Atmen Sie mehr als die Anderen.

B: Wie würden Sie »KUNST« erklären?

A: Atmen jenseits aller Vergleiche.

B: Wie würden Sie »ATMEN« erklären?

A: (Hält den Atem an und stirbt.)


Aus: robert lax channeled / robert lax mitgeteilt, leerstelle.org, 2011.