Eigengesetzlichkeit ist die einzige
Theorie eines Kunstwerkes,
die ich gelten lassen kann.

Wolfgang Rihm

Was ist Kunst? 

Eine Einladung – als Anregung: Kunst behauptet, einen Teil der Welt um seiner selbst willen darstellen zu können. Sie erfüllt in sich selbst ihren Zweck und dient keinen anderen Absichten. Nur so können Kunstwerke unterschiedliche, individuelle  Weltsichten wie absolute Werte erscheinen lassen. Die in der Kunst dargestellte Freiheit, ist nur in der unmittelbaren Selbsterfahrung einer authentischen Gewissheit real. Das bedeutet: Kunst ist selten!

Alle Kunst beginnt mit der Behauptung einer Bedeutsamkeit von „etwas“, das weder theoretisch, noch praktisch, noch durch die faktisch-empirischen Eigenschaften dieses „etwas“ als bedeutsam begründet werden kann.

Gegeben sei: …“ – und alles was nun folgt, ganz so als wäre es irgendein mathematisches Axiom, ist in der künstlerischen Tätigkeit potentiell nicht von dieser Welt. Denn: „wesentlich an der Kunst ist, was an ihr nicht der Fall ist, inkommensurabel dem empirischen Maß aller Dinge.“1

Dieses Wesentliche der Kunst hat aber nicht unbedingt Hochkonjunktur.

Denn schon seit Jahrzehnten steht nun das duchamp´sche Menetekel weitgehend ungelesen im Stammbuch der Kunst: „Diese verschiedenen Aspekte der heutigen Kunst führen uns dazu, sie global in der Form einer hypertrophierten Exoterik zu betrachten. Ich meine damit die Tatsache, dass das große Publikum viel Kunst, viel zu viel Kunst akzeptiert und verlangt; dass das große Publikum heute ästhetische Befriedigung sucht, die in einem Spiel von materiellen und spekulativen Werten verpackt sind, und dass es die künstlerische Produktion zu einer massiven Verwässerung treibt.

Diese massive Verwässerung, die das an Qualität verliert, was sie an Quantität gewinnt, wird von einer Nivellierung von unten her des gegenwärtigen Geschmacks begleitet und wird in naher Zukunft einen Nebel von Mittelmäßigkeit zur Folge haben.

Zum Schluss hoffe ich, dass diese Mittelmäßigkeit, die durch zu viele, der Kunst per se fremde Faktoren bedingt ist, eine Revolution, diesmal eine von asketischer Art, herbeiführen wird, über die sich das große Publikum nicht einmal bewusst werden wird und die bloß einige Eingeweihte entwickeln werden, – am Rande einer Welt, die durch das ökonomische Feuerwerk geblendet ist.

The great artist of tomorrow will go underground.“2

Was also kann die Kunst? – Sie kann uns am Rande der Welt in die leerstelle führen, in der Begriffe, Thesen, Bilder, Ideen und Dinge in der unmittelbaren Erfahrung eines Kunstwerks lebendig werden.


1 Theodor W. Adorno: Ästhetische Theorie. Suhrkamp, 1973, S. 499.

2 Marcel Duchamp: Where do we go from here? (1961). In: Die Schriften. Übersetzt, kommentiert und herausgegeben von Serge Stauffer, Theo Ruff Edition, 1994, S. 256.