Em Scheer
Dass die Künstler nicht arbeiten, war lange Zeit ein landläufiges Vorurteil gegenüber einer oft undurchsichtigen Lebensform, und in einer Zeit, die sich zunehmend fraglos mit Andy Warhols Überzeugung, die Kunst sei »just another job«1 identifiziert, sei zur allgemeinen Freude verkündet, dass das schwindende Vorurteil tatsächlich der Wahrheit entsprich: Künstler arbeiten nicht! Im Modus der Kunst schweben die geistigen Kräfte jenseits der arbeitsteiligen Produktion von Mehrwert und Fortschritt über den Wassern.
Künstler sind Geier, erwählt vom Aas ihrer Werke. Dabei kreisen sie nicht in erhabenen Ätherhöhen der Kunst, um mit untrüglichem Auge herabzustoßen und sich das Kunstwerk einzuverleiben, sondern bewegen sich wie undefinierte Flügelwesen, die vom empor stoßenden Aas einer bestimmten sinnlichen Konstellation erst als Geier ergriffen und bestimmt werden. Dann aber ist der im ästhetischen Echo vollzogene geistige Akt eine Wechselbestimmung: kein Aas ohne Geier – kein Geier ohne Aas.
Künstler sind Geier, erwählt vom Aas ihrer Werke.
Künstler arbeiten nicht, aber sie atmen! Dies ist entgegen der alltäglichen Erfahrung einfacher gesagt als getan. Denn natürlich erschöpft sich dieses Atmen nicht im biologischen Ventilieren, nicht im erleichterten Aufatmen, nicht im Durchschnaufen nach getaner Arbeit, und nicht im respirativen Freizeitakt. Es ist noch nicht einmal das kraftvolle Einatmen des Artisten vor dem Salto mortale, während das staunende Publikum vor Spannung den Atem anhält, und auch nicht die konzentrierte Hyperventilation des Apnoetauchers, ehe er in den unbewussten Tiefen und Dunkelheiten des Meeres seinen Willen an die Schwelle des Todes führt, und wenn möglich zurück. Nicht mitschwimmen, sich nicht vereinnahmen lassen. Abtauchen. Auftauchen. Atmen. Mit einer nicht exklusiven Einfachheit, die angesichts von Überfluss und Exzellenz zögerlich und bescheiden an den Verheißungen der Betriebsamkeit ökonomischen Kalküls vorbei, wenig bringt und noch weniger will: nur atmen.
Das klingt kryptisch, wie Künstlermythologie, die die Leistungen der Künstler nicht würdigt oder verklärt, weshalb Milton Glaser mit großer Geste zum Gegenteil greift und sogar ernst gemeint vorschlägt: »Wir beseitigen das Wort Kunst und ersetzen es durch den Begriff Arbeit. (…) Dieser einfache Austausch der Begriffe wird zahlreichen Menschen, die sich den Kopf zerbrechen, ob sie nun Künstler sind oder nicht, das Leben erleichtern. Aber noch viel wichtiger ist, dass Kunst dadurch wieder zu einer bedeutenden und nützlichen Tätigkeit in unserem täglichen Leben wird – etwas auf das wir schon sehr lange warten.«3 Dass die Kunst durch solch einen Vorschlag zur kontrollierten Sprachverwirrung »zu einer bedeutenden und nützlichen Tätigkeit in unserem täglichen Leben wird« ist zwar gewagt geschlussfolgert, aber tatsächlich zu befürchten. Das Atmen der Künstler wird dann als Arbeit dem alltäglichen Nützlichkeitskalkül zugeführt und verkommt zum Dekorum und Ornament. Es erhält Tauschwert und Brauchwert, wird Bildungsinhalt, Sozialarbeit, Unterhaltung, Ware, Kitsch oder fun3. Kurz: die Kunst wird all das, worauf manche »schon sehr lange warten«. Künstlerische Tätigkeit wird zur Erfüllung der Parusie ihres Endes.
Künstler arbeiten nicht, aber sie atmen!
Hier aber wird behauptet: Kunst funktioniert nicht, wenn sie ›funktioniert‹. The more you work, the less you exist. Künstler arbeiten nicht, aber sie atmen! Damit verhalten sie sich an den Zwecken der Lebensmechanik, an Brauch- und Tauschwert, an Unterhaltung und Bildungsabsicht vorbei und eben dadurch werden sie fundamental unprofessionell. Somit verläuft diese These auf einem duchamp’schen Trampelpfad: »Professionalismus ist immer der Tod der Kunst.«4
1 Andy Warhol: THE Philosophy of Andy Warhol (From A to B and Back Again). Harcourt, 1977, S. 178.
2 Milton Glaser: Kunst ist Arbeit. Gingko Press, 2000, S. 7.
3 »Kunst impliziert im Begriff den Kitsch, mit dem sozialen Aspekt, dass sie, gehalten, jenes Moment zu sublimieren, Bildungsprivileg und Klassenverhältnis voraussetzt; dafür ereilt sie die Strafe des fun.« Theodor W. Adorno: Ästhetische Theorie. Suhrkamp, 1973, S. 181.
4 Marcel Duchamp: Interviews und Statements. Cantz, 1991, S. 29.